Wien, Mittersteig 15. Ein violett gestrichenes Geschäftsportal mit der rätselhaften Aufschrift "Mala Strana": blinde Scheiben,
verblassende Malerei. Reste von Theaterstoff wehen im Winterwind aus geborstenen Auslagen. Hinter diesem blinden Fleck im Ensemble des Mittersteigs verbirgt sich ein zauberischer Ort: das seit vielen Jahren vergessene Mittersteigtheater.
Es war 1994, und es war der Regisseur Markus Kupferblum, der zum letzten Mal das Potential dieses secessionistisch dekorierten Raums erkannte und mit brachialer Kreativität und der Magie seines "Totalen Theaters" den Saal zum erglühen brachte. Aber schon davor war der Raum Bühne für Ereignisse aller Art: Im Lauf der Jahrzehnte vom Kino zur Sporthalle mutiert bot er den Rahmen für Popkonzerte bis hin zu Faustkämpfen im Boxring.
Heute wird erneut gekämpft, und diesmal geht es um alles - es geht um das Theater selbst, das 100 Jahre nach seiner Errichtung vor der Zerstörung steht. War es bisher durch hausinterne Eigentumsverträge insoferne geschützt, dass es nur
für kulturelle oder sportliche Zwecke genutzt werden durfte, hat der Eigentümer nun erfolgreich vor Gericht durchgesetzt, dass jede beliebige Nutzung in das Theater einziehen darf.
Das wäre für sich noch kein Drama - auch andere Theater wurden aus Supermärkten wiedergeboren. Im Fall des Mittersteigtheaters wäre die Umgestaltung aber wahrscheinlich endgültig: Da das Parkett des Theaters im Kellerniveau liegt, würde bei einem Umbau wohl eine Betondecke in Höhe der Logen und damit auf Straßenniveau eingezogen - und der Theaterraum damit für immer zerstört.
Ende Jänner 2012 wird die Umwidmung bekannt: Eine Gruppe von Künstlern formiert sich spontan - und macht die Medien auf die Vorgänge aufmerksam. Nun wird versucht, die Karten neu zu mischen und Eigentümer sowie Politik davon zu überzeugen, dass solche Räume rettens- und schützenswert sind. Es sind Orte wie dieser, die die Seele der Stadt ausmachen - und es ist die Kultur der Stadt, die Orte wie diesen braucht. In unserer immer beliebiger werdenden Welt, in unserer globalisierten Umgebung sind es Plätze mit Vergangenheit, die die Identifikation mit der Stadt ermöglichen. Das Mittersteigtheater ist vielleicht der letzte verbliebene Theaterraum im Originalzustand in einer Größe, die kommerziell sinnvollen Betrieb zuließe. Ein Raum der Möglichkeiten zwischen gestern und morgen, der geschützt werden sollte - geschützt vor dem Vergessen, gerettet vor der Zerstörung durch banale Allerweltsarchitektur.
Zur Geschichte des Hauses
Harald A. Jahn, Fachautor, Fotograf und Innenarchitekt | Email
Artikel im Standard, 6.2.2012 (online) | 7.2.2012 (Print)
Artikel in der Kronenzeitung, 1.2.2012
Artikel in der Presse, 25.1.2012
Artikel im Falter vom 20.1.2010
Kontaktmöglichkeiten zur MA 19 (Stadtgestaltung)
Studenten der TU untersuchten Nutzungsmöglichkeiten für den Theatersaal
Die Facebook-Gruppe "Mittersteigtheater darf kein Supermarkt werden"